top of page

Tiere in Russland

„Vom Tiermord zum Menschenmord ist nur ein kleiner Schritt und damit auch von der Tierquälerei zur Menschenquälerei. Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben."
Leo Tolstoi, 1828- 1910

Katze und Hund

1. Land und Leute

Was ist Russland? „Wodka, Borschtsch, Ballett“ fallen als erste Schlagworte, gefolgt von Balalaika, Perestroika oder Dostojewskij. Dann ist man bei den üblichen Klischees angelangt. Kann man Russland in Worte oder Daten fassen?

„Mit dem Verstand kann man Russland nicht erfassen...An Russland kann man nur glauben...“( F.I. Tjuttschew).

Der Vielvölkerstaat Russland ist der flächenmäßig größte Staat der Erde und nicht nur in geographischer und klimatischer Hinsicht ein Land der Superlativen und Extreme. Neben den Russen, die die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, leben noch 100 andere Völker auf russischem Gebiet. Das moderne Russland ist geprägt von widerstreitenden politischen Interessen und demokratischen Reformen. Ebenso widersprüchlich erscheint uns in der westlichen Welt die „russische Seele“: Herzliche Gastfreundschaft und Melancholie, Mystik und Vernunft schaffen ein buntes Bild. Als Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist Russland Atommacht und ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat.


Die soziale Lage in Russland zeichnet das Bild einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Armut und Reichtum finden sich in extremster Form nebeneinander. Angaben der Weltbank zufolge lebt jeder fünfte Russe unterhalb der Armutsgrenze, die Mittelschicht verdient im Monat umgerechnet rund 430 Euro. Zwischen 40000 und 100000 Obdachlose leben allein in Moskau, laut UNICEF fliehen jährlich ca. 30000 Kinder aus ihren Familien auf die Straße. Sie teilen ihr Dasein mit einer riesigen Anzahl von Straßenhunden, auch hier gibt es nur Schätzungen. Zwischen 25000 und 100000 sollen es nach Biologenmeinung sein.

2. Mensch und Tier

In Moskau gehören Straßenhunde zum Stadtbild, sie haben sich dem Großstadtleben weitgehendst angepasst, betteln mit ausgefeilten Techniken um Futter, viele benutzen sogar die Metro und reisen von Station zu Station, weil sie wissen, wo sich das Aussteigen lohnt, um Futter zu finden. Im Überlebenskampf schließen sich diese meist ausgesetzten Tiere bestehenden Rudeln an und beziehen feste Reviere an Supermärkten und Wohnvierteln.

Moskaus Bürger beklagen das tatenlose Zusehen der Behörden trotz zahlreicher Beschwerden. Nichtsdestotrotz ergab eine Umfrage vom Fonds Gesellschaftliche Meinung, dass 70 Prozent der befragten Russen ihre Hunde gern hat. Viele Moskowiter füttern ihre „Quartiershunde“ mit allem, was ihre eigene oft spärliche Küche hergibt. Seit 2007 gibt es sogar in Moskau in der Halle der Metrostation "Mendelejewskaja" das Denkmal des herrenlosen Hundes.
 

3. Hundeleben in Moskau

Der Hartnäckigkeit und zähem Kämpfen der wenigen Tierschutzorganisationen (z.B. „VITA“) und engagierter Bürger in Moskau ist es zu verdanken, dass im Jahr 2002 Bürgermeister Jurij Luschkow das Töten der Straßenhunde durch Abschuss einstellen ließ und 74 Millionen Rubel ( etwa 1,7 Mio. Euro ) in ein Sterilisationsprojekt investiert wurden (Quelle: Berliner Zeitung, Archiv, 12 .02.2008 ). Diese Summe wurde an Veterinär-Organisationen weitergeleitet, die die Tiere kastrieren, chippen und wieder auf die Straße setzen sollten. Ob das Geld diese Organisationen erreicht hat bzw. ob diese nach den Vorgaben gehandelt haben, wurde niemals einer Kontrolle unterzogen.

 

Das Sterilisationsprogramm - mit ungeheurem Kraftaufwand der örtlichen Tierschützer ins Leben gerufen, den Behörden vorgelegt und von J. Luschkow abgesegnet - blieb leider ohne nennenswerten Erfolg, denn es scheiterte an gründlicher Organisation und Logistik. Die Anzahl der Hunde wuchs durch natürliche Vermehrung und Aussetzung weiter an.

Bis 2002 wurden Staatsmittel investiert, um die Population der Tiere mittels Giftspritzen zu senken. Dieses Gift bedeutet aber keine schonende Euthanasie, sondern qualvolles Sterben innerhalb 40 Minuten in vollem Bewußtsein. Die verwendeten Gifte sind in der EU nicht zugelassen.

Besonders dramatisch war diese Situation: 

Russland bereitet sich auf die Fussball WM 2018 vor.  Es erfolgte eine Ankündigung der Moskauer Regierung , nun im Zuge der Vorbereitungen dieses Ereignisses die Stadt von Hunden zu säubern.

http://mobile.luzernerzeitung.ch/nachrichten/international/fliessband-des-todes;art9640,1223753

In dieser Zeit häuften sich auch Berichte und TV- Sendungen, die aggressives Auftreten von Straßenhunden, Verbreitung von Tollwut und unberechenbare Angriffe auf Menschen thematisierten. Der Gedanke der Manipulation der öffentlichen Meinung liegt nahe, räumt die Stadt selbst ein, der Lage nicht Herr zu werden. Die Rede ist nun von einem erneuten Aufnehmen der Hundetötungen durch Abschuss, entlohnt von einem Kopfgeld von umgerechnet 5 Euro pro getötetem Hund. Grauenvolle Bilder von erschossenen Hundemüttern mit saugenden Welpen am Bauch und Videos von äußerst brutalem Vorgehen der Hundefänger erreichten die Öffentlichkeit. Den Bild- und Filmberichten zufolge erschlagen und erschießen derzeit eiligst gebildete Hundefängerkolonnen, bestückt durch unausgebildete Vollzugsbedienstete, zahlreiche Hunde vor den Augen einer entsetzten Bevölkerung auf die grauenvollste Art und Weise. Die Behörden begegnen den Vorwürfen empörter Bürger mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Maßnahme, da sich Tollwutfälle und Beissattacken in jüngster Zeit gehäuft hätten. Mit Unterschriftsammlungen, friedlichen Protesten und Demonstration versuchen zur Stunde Tierschützer sich gegen die behördlichen Maßnahmen zur Wehr zu setzen und vor allem die nationale und internationale Öffentlichkeit über die Geschehnisse zu informieren.
 

4. Warum gibt es so viele Straßenhunde ?

Viele der russischen Familien balancieren an der Armutsgrenze ,da erscheint es oft unmöglich, noch Haustiere zu ernähren. Diese landen meist auf der Straße. Gleichzeitig verschärft die westlichem Standard angepasste Wegwerfgesellschaft, Korruption und Ignoranz die Situation. Mangelnde rechtliche und exekutive Konsequenzen machen es vielen Haustierbesitzern zu leicht, sich ihrer Hunde und Katzen durch Aussetzen zu entledigen. Auf der Straße vermehren sich die Tiere explosionsartig. Das Kastrationsprogramm aus dem Jahr 2002 startete zu halbherzig und griff mangels konsequenter Durchführung nicht durch.

Ein weiteres Problem liegt auch in der antiquierten Mentalität von Haustierbesitzern , denn bis heute ist man der Meinung, dass das eigene Tier einige Male gebären sollte, bevor es kastriert wird, damit die Kastration der Gesundheit nicht schade. Die große Menge an Welpen wird zu einem kleinen Teil entweder mühsam an Bekannte vermittelt, zur „Entsorgung“ des weitaus größeren Anteils jedoch erscheinen brutale Geschäftemacher und mafiös organisierte Tierhändler, die versichern, die Jungtiere gewinnbringend auf dem Tierbasar zu verkaufen, aber nur, wenn man ihnen schon etwas vorausbezahlt. Gelingt dies nicht, findet man die Tiere irgendwo auf einem Haufen verscharrt oder entlang einer Straße in Pastiktüten. Massenproduktion von Welpen findet sich nicht nur bei leichtfertigen Privatleuten; auch die sogenannten „Vermehrer“ tragen dazu bei. Welpen aller Rassen werden auf Hundebasaren billigst feilgeboten und neuerdings auch übers Internet gehandelt. Das schnelle Geld mit dem Leben ist aber nicht nur in Russland ein großes Problem.
 

5. Die Tierheime

Der ungeliebte Nachwuchs füllt auch die staatlichen Tierheime bis zum Bersten. Aus den ehemaligen hoffnungslosen Auffanglagern wurden „Tierheime“, betrieben von denselben Leitern und Mitarbeitern. Die Situation ist vielfach verheerend. Drangvolle Enge, ohrenbetäubender Lärm von den Tieren, die sich noch bemerkbar machen wollen und können, im Winter unbeheizt und Futter und Wasser oftmals gerade mal ausreichend, um dahin zu vegetieren, lassen viele Hunde und Katzen innerhalb kürzester Zeit alle Lebensgeister aufgeben. Besucher dürfen diese Anstalten in der Regel nicht betreten und die Adoption eines Tieres wird unendlich erschwert. Die wenigen Tierschützer, die den Mut finden, diese Anlagen zu betreten, müssen sehr lange um dieses „Privileg“ kämpfen und benötigen geraume Zeit, um nach den Eindrücken des Elends und der Hoffnungslosigkeit wieder zu sich zu finden. Die Lager erweisen sich auch als einträgliches Geschäft: Rund 200 US Dollar pro Hund springt am Monatsende für die Betreiber heraus, unabhängig vom Zustand des Tieres.

Heimlich gedrehte Filme zeichnen ein unvorstellbar grauenvolles Szenario von sterbenden und apathischen, kranken Hunden (Quelle: RT,www.rttv.ru/Top_News/2009-04- 22/No_food_and_mercy_for_stray_dogs_in_Moscows_shelters).

Ein Regierungserlass der Stadt Moskau (Nr. 2460-PM vom am 06.11.2007 ) sieht bis zum Jahr 2010 die Errichtung von 15 neuen Tierheimen vor. Bis dahin sollen alle Straßenhunde ( immerhin mindestens 30000 Tiere ) in diesen Heimen untergebracht sein. Die Stadt will dafür 64 Millionen US Dollar aufwenden. (Quelle: rttv.ru/Art_and_Fun/2008-05-06) Stand heute befinden sich 4 Heime im Rohbau, in denen bereits tausende Tiere zusammengepfercht ihr Dasein fristen. Die Regierung leugnet die Dramatik der Situation und kontert die Vorwürfe mit Bildern eines Moskauer Tierheimes, die gut genährte Hunde und Katzen in sauberen Ausläufen zeigen- erfreulich, wohl aber leider die Ausnahme.

Moskau verfügt über 20 staatliche und nicht- staatliche Tierheime. Einmal jährlich besucht eine Bezirkskommission, bestehend aus Tierärzten und Staatsbeamten, diese Tierheime. Die Kommission entscheidet, welches Tierheim vom Staat Subventionen erhält. Wie die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda am 27.05.2008 berichtete, bewarb sich eine KP Journalistin in einem Tierheim als Volontärin und erzählte erschüttert von den dort herrschenden Zuständen. 130 Rubel ( ca. 3 Euro ) pro Hund pro Tag kassiert das Tierheimmanagement, um die Straßenhunde zu versorgen. Darüberhinaus bezahlen Haustierbesitzer bis zu 500 Rubel (ca. 12 Euro ) für die Unterbringung ihrer Tiere in der Urlaubszeit als Pensionstiere. Letztere werden fürsorglich behandelt. Für die Straßentiere bleibt nichts. Ihnen wird verschimmeltes Essen auf den Boden gekippt, um das verzweifelt gekämpft wird. Näpfe gibt es keine. Wer für den täglichen Kampf um Überleben zu schwach ist, wird getötet. Da die Kommission die Aufnahme und Sorge um verkrüppelte und kranke Hunde besonders unterstützt, wird diesbezüglich nachgeholfen. Unnötige Amputationen sind nichts ungewöhnliches. Das Budget wird zusätzlich vor Ort durch die Produktion von Rassewelpen aufgebessert. 30000 Rubel (ca. 697 Euro ) kostet zum Beispiel eine englische Bulldogge. Tierschützer, die von diesen Zuständen wissen, schweigen aus Angst vor Repressalien und davor, dass das Tierheim geschlossen und alle Hunde getötet werden. (Quelle: www.kp.ru/daily/24104/330208/)
 

6. Die Straße

Hunderte Hunde und Katzen verlieren pro Jahr ihr Leben auf den Straßen
Russlands. Vielfach schwerstverletzt und mit abgerissenen Gliedmaßen verenden sie oft qualvoll einsam und unbeachtet am Straßenrand. Einige werden von Tierfreunden gefunden und mit viel Zeit- und Geldaufwand gepflegt, über die Grenzen der vorhandenen Kapazität.
Straßentiere sind aber auch oft brutalen Übergriffen von Menschen ausgesetzt. Hunger und die Suche nach menschlicher Zugehörigkeit machen aus ihnen leicht anlockbare Opfer. Oft werden Hunde und Katzen verstümmelt und mißhandelt aufgefunden. Dann wiederum zwingt auch die Not Menschen zu schrecklichen Taten: Die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda aus Moskau berichtete mit schockierendem Bildmaterial am 05.09.2008 von Hunde essenden Obdachlosen in St. Petersburg.

Doch die Lobby der Tierschützer ist erstarkt und wächst weiter an. Private Organisationen und mutige Tierfreunde finanzieren aus eigener Tasche Kastrationsprojekte, es gibt zahlreiche friedliche Tierschutz- Demonstrationen in russischen Großstädten, ferner erscheinen aufklärende Artikel und Publikationen in Zeitungen, Radiosendern oder TV - allesamt mit dem Ziel, die Bevölkerung zu sensibilisieren und auf eine friedliche Co- Existenz mit den Straßentieren hinzuwirken. Am 13. Mai 2009 fand in Moskau am Novopushkinskij Skver um 16 Uhr eine Demonstration gegen die Massenvernichtung von Straßenhunden in Moskau statt.

Das fast unsichtbare Wort „Tierschutz“ gewinnt langsam mehr Farbe. Noch liefern sich Tierschützer und Hundegegner, teilnahmslose und korrupte Behörden einen erbitterten Kampf um die Lösung der Streunerproblematik. Es scheint sich in nächster Zukunft um einen beinahe aussichtslosen Kampf zu handeln, denn es gilt ein Land und seine verantwortlichen Politiker für eine Problematik von Tieren zu aktivieren, wo selbst beispielloses Elend von Straßenkindern und Obdachlosen resigniert in Kauf genommen wird.

Was bleibt? Noch ist der Tierschutz in Russland Privatsache. Halten wir es mit dem russischen Dichter Tjuttschew:“....an Russland kann man nur glauben.“
 

7. Gesetzliche Grundlage des Tierschutzes

Bislang existiert in Russland trotz dahingehender Bestrebungen kein eigenes Tierschutzgesetz. Einer wachsenden Tierschutzlobby und dem zunehmenden Druck nationaler und internationaler Tierschutzorganisationen ist aber seit dem Ende der neunziger Jahre eine geplante Sanktionierung von Tiermisshandlung in Form von wiederholt in der Duma eingebrachten Gesetzesentwürfen zu verdanken. Alle diese Versuche scheiterten bislang. Die Begründung der letzten Ablehnung im Frühjahr 2008 aus dem Büro des damaligen Präsidenten Putin: Man bezweifele die Bedürftigkeit einer legislativen Regulierung der Thematik, da ja bereits ein ausreichender Schutz der Tiere in einschlägigen Gesetzen gewährleistet sei. So in „Über die Fauna“- „Über das sanitäre epidemiologische Wohlergehen der Bevölkerung“- „Über die Veterinärmedizin“ und das Strafgesetzbuch der russischen Föderation.
 

Wie steht es mit dem geplanten Tierschutzgesetz?

Diesmal wollte aber Russlands Öffentlichkeit diese traurige Entwicklung nicht hinnehmen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Wissenschaftler, Geistliche und Umweltexperten starteten einen erneuten Versuch, die Schaffung eines Tierschutzgesetzes voranzutreiben. Wie die Nachrichtenagentur Ria Novosti am 22.07.08 berichtete, wandten sie sich in einem offenen Brief an den russischen Präsidenten Medwedew mit der Bitte, einen Gesetzesentwurf über den Umgang des Menschen mit Tieren anzunehmen.

Zitat: „Gegenwärtig ist die akute Notwendigkeit herangereift, bei den Menschen einen zivilisierten Umgang mit Tieren zu kultivieren. Das ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine umweltbezogene und ethisch- pädagogische Aufgabe. Sollte die Gesellschaft herrenlose Tiere weiterhin vernichten, muss sie dann auf einen weiteren Schritt- die Vernichtung obdachloser Menschen- gefasst sein,“ so Michail Berulawa, Mitglied der Gesellschaftskammer und der russischen Akademie des Bildungswesens.

In dem Schreiben wird weiter darauf hingewiesen, dass die geltenden russischen Gesetze keine konkreten Bestimmungen enthalten, die die Quälerei herrenloser Tiere verbietet. Die Haltungsbedingungen für Tiere in Zuchtfarmen seien nicht reglementiert. Es gäbe kein Verbot brutaler Tötungsmethoden. Die Autoren unterstreichen, dass sich die Fälle von Tierquälerei häufen und sich die Lage von Tieren in allen Lebensbereichen verschlechtere. Die Bedeutung der Anerziehung eines humanen Umgangs mit Tieren bei der heranwachsenden Generation werde außer Acht gelassen. Dies sei eine Voraussetzung für eine zunehmende Kriminalität unter Minderjährigen, heißt es. Das Schreiben trägt mehr als 3000 Unterschriften russischer Bürger, so die Gesellschaftskammer. „ Zitatende

Es soll demnach ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, dass den Tieren in ihren jeweiligen individuellen und biologischen Lebensräumen und Bedüfnissen gerecht werden soll. Eine Behandlung der Tiere, die mit den Prinzipien der Moral und Humanität unvereinbar ist, verursacht auch moralische Schäden beim Menschen und ist von einer humanistischen Gesellschaft nicht hinnehmbar.

Inhalt des Gesetzesentwurfes ist die gesetzliche Regelung des Schutzes aller Tiere vor Misshandlung jedweder Art. Anwendbar soll das Gesetz auf alle Tiere sein, so da wären neben Haus- und Wildtieren die Viehzucht, Fisch- und Pelztierzucht, Zoo- und Zirkustiere, Versuchstiere sowie die Nutztiere auf den Transporten und die Tiere, die in Ausstellungen, Sport und auf Bühnen der menschlichen Unterhaltung dienen müssen. Im Falle der Misshandlung eines Tieres sollen sogar Eigentumsrechte hinter der Verpflichtung des Menschen zum Tierschutz zurücktreten. Ebenso geregelt werden die Verwirklichung der staatlichen Regelung und Überwachung, die Kontrolle durch die Exekutive. Es wird ein Mitspracherecht von Bürgern und nicht- kommerziellen Organisationen an Beschlüssen der Exekutive und lokaler Selbstverwaltung- als Kontrolle der Kontrolle- eingerichtet. Die Anzahl der Straßentiere soll durch ein Kastrationsprogramm reguliert werden. ( Art.14 des GE des TSG der russischen Föderation ). Art. 16 regelt die Euthanasie mit abschließend aufgezählten Tatbeständen. Nur unter diesen genannten ganz engen Voraussetzungen darf eine Euthanasie stattfinden. Unternehmerische Tätigkeiten , die mit der Nutzung von Tieren verbunden sind, unterliegen der Lizenzierung und damit weiterer Kontrolle.

Der russische Präsident Medwedew kam der Bitte nicht nach. Der Gesetzentwurf erreichte die Duma nicht. Eine Neuauflage ist für dieses Jahr geplant.

Der einzige Schutz der Tiere besteht derzeit über § 245 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation „Grausamer Umgang mit Tieren“.
 

Was sagt das Strafgesetzbuch?

Art. 245 STGB RF Grausamer Umgang mit Tieren

Absatz 1: Der grausame Umgang mit Tieren, der deren Tod oder Verstümmelung nach sich gezogen hat, wird, wenn diese Tat aus rowdyhaften Beweggründen oder aus Gewinnsucht oder unter Anwendung sadistischer Methoden oder in Anwesenheit Minderjähriger begangen wurde, mit Geldstrafe in Höhe von bis zu 80000 Rubel oder in Höhe des Arbeitsentgeltes oder eines sonstigen Einkommens des Verurteilten für die Zeit von bis zu 6 Monaten, mit Besserungsarbeit für die Dauer von bis zu 1 Jahr oder mit Arrest für die Dauer von bis zu 6 Monaten bestraft.

Absatz 2: regelt die Voraussetzungen und Folgen der Tat bei Begehung durch eine Personengruppe.
 

Art 245 STGB RF bezieht sich auf das menschliche Verhalten und negative Moral gegenüber Haus- und Wildtieren.
 

Der objektive Tatbestand ist die grausame Behandlung gegenüber Tieren durch Handlungen und Unterlassung, zB extreme Vernachlässigung, Verwendung für nicht- wissenschaftliche Experimente, qualvolles Töten, Jagd mit inhumanen Methoden, systematische Gewalt oder Zufügung von physischen Schmerzen.

Taterfolg ist der Tod oder die Verstümmelung des Tieres. Diese Handlungen sind strafbar, wenn sie aus rowdyhaften Beweggründen, aus Gewinnsucht oder unter Anwendung sadistischer Methoden oder in Anwesenheit von Minderjährigen ( d.h. Unter 14 J.) begangen sind. Straffolge ist die Geldstrafe ( bis zu 80000 Rubel – entspricht etwa 1800 Euro), Besserungsarbeit bis zu 1 Jahr oder Arrest bis zu 6 Monaten.

Der subjektive Tatbestand verlangt direkten Vorsatz oder Eventualvorsatz. Der Schuldige ( jede Person über 16 Jahren ist schuldfähig ) erkennt, dass er ein Tier grausam behandelt, sieht seine Verletzung bzw Tod und lässt es bewusst zu oder nimmt es in Kauf. Eine wichtige Rolle spielt das Motiv des Verbrechens. Hier verlangt das Gesetz „rowdyhafte Beweggründe“, alternativ Gewinnsucht. Ersteres ist erfüllt, wenn den Handlungen keine logische Erklärung zugrunde liegt, sie scheinbar grundlos erfolgen. Zweiteres liegt vor, wenn sich aus dem grausamen Umgang ein materielles Interesse ergibt.

Kommentierung und Begriffsdefinition, Quelle: Kommentar zum STGB der ru. Föd., Gross Media, 2007, Gromow und Iuraiut- Isdat, 2007, Lebedev)
 

Wie wird das Strafgesetzbuch im Tierschutz umgesetzt?
Eine Umsetzung findet so gut wie nicht statt. Strafanzeigen werden entweder nicht aufgenommen oder aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt. Vollzugsdefizite sind die Folge.

Es wird deutlich, dass Art. 245 STGB RF keinen ausreichenden Schutz der Tiere vor menschlichen Entgleisungen bietet. Dafür spricht neben der lediglich abstrakten undifferenzierten Begrifflichkeit des Wortlautes auch die Platzierung im Gesetzeskontext. Art. 245 STGB steht im Abschnitt der Straftaten gegen die Gesundheit der Bevölkerung und öffentlichen Sicherheit und rangiert als letzte Norm gleich hinter Leichenfledderei. Ein gesetzlicher Schutz allein um der Tiere willen ist nicht erkennbar. Die Argumentation der Regierung eines vorhandenen, ausreichenden Schutzes für Tiere überzeugt daher nicht. Zu unscharf und lückenhaft erscheinen Tatbestand und Rechtsfolgen.

Im Gegensatz dazu scheint die Straffolge bei voller Ausschöpfung geeignet, Abschreckungsfunktion zu entfalten. Bei einem durchschnittlichen Nettoeinkommen der Russen von rund 13500 Rubel, also rund 315 Euro ( Quelle: Ria Novosti vom 29.01.2008) trifft die Geldstrafe in Höhe von bis zu 1800 Euro empfindlich. Nur nützt die empfindlichste Strafe nichts, wenn es an der Strafverfolgung durch die Behörden mangelt. Auch hier ist die Korruption ein schwerwiegendes Problem. Zu oft bleiben eklatante Verstöße gegen Art. 245 STGB ungesühnt. Es scheint, als habe man mit dem Art. 245 STGB lediglich einen „good will“ zeigen wollen, so etwa, als würde im Rahmen einer enummerativen Auflistung aller Verstöße gegen die Volksgesundheit und öffentlichen Sicherheit im 25. Kapitel des 9. Abschnittes noch ein knappes Zugeständnis zugunsten einer ewig nörgelnden Minderheit erfolgen.
 

Was ist zu erwarten und was zu ändern?

Ob dieser Gesetzentwurf von 2008 irgendwann zur Rechtskraft erstarken wird, bleibt – wenn auch ungeduldigst - abzuwarten. Zu hoffen allerdings bleibt mit allen Kräften ein baldiger normativer Schutz der Tiere in Russland, neugeboren aus einer Vergangenheit, die diesbezüglich nur als rückständig und reaktionär bezeichnet werden kann..
 

Änderungsbedarf gibt es in jeder Hinsicht.

Begonnen bei der konsequenten und von unabhängigen Organen kontrollierten Durchführung eines Kastrationsprogrammes und dessen Kostenüberwachung, der Transparenz und Kontrolle der ausgegebenen staatlichen Gelder, über die Abschaffung der Tötungsanstalten, Planung und zügige Durchführung der geplanten modernen Tierheime, diese wiederum geführt von kompetentem, geschultem Personal. Ferner erforderlich ist das Verbot der Kettenhaltung und willkürlicher profitorientierter Massenzucht, unerlässlich die Aufklärung und Erziehung der Bevölkerung zu verantwortungsbewußtem und humanem Umgang mit den Tieren, strenge Sanktionierung von Behördennachlässigkeit bei
mangelnder Verfolgung von Tiermisshandlung und Korruption. Darüberhinaus gehört hierher der sofortige Stopp von Tötungen von Straßentiere durch Abschuss oder Vergiften, gleichgültig, ob diese nun behördlich angeordnet oder .durch Selbstjustizler erfolgt.

Hilfreich wären ferner die Errichtung von Standarddokumentationen für Tierheime und Zucht wie auch die Schaffung eines zentralen unabhängigen Tierschutz- Netzwerkes mit Experten ( Tierärzte, Biologen, Juristen ).

Übergeordnete Voraussetzung für all diese Neuerungen ist allerdings die Behebung eines altbekannten Problems: Eindämmung der Korruption und die Möglichkeit freier Meinungsäußerung. Solange Leid und Elend von Lebewesen in staatlicher „Obhut“ heimlich gefilmt werden muss und die Urheber bei Veröffentlichung um ihre körperliche Unversehrtheit bangen, solange wird auch ein eigenes Tierschutzgesetz in Russland die große Not der Straßenhunde nicht mindern.
 

Anmerkung der Verfasserin:

" Anlässlich der Recherchen zu diesem Bericht erhielt ich zahlreiches Bild- und Filmmaterial von Menschen aus Deutschland und Russland. Der Inhalt des Materials übersteigt alles an Grauen, was mir bislang bekannt war. Leider bin ich aus Rücksichtnahme auf die Urheber, die ihre Identität aus Angst vor Repressalien nicht preisgeben möchten, an der Veröffentlichung in diesem Bericht gehindert. "

Annelie Martin, Verfasserin

bottom of page